Erstes Kulmbacher

NS - Stadtführung

Im Verhältnis zur Größe der Stadt gab es in Eschwege eine ungewöhnlich vielseitige und große ,Vereinslandschaft’, so existierten unzählige Sänger-, Krieger-, Turn- und Sportvereine. Diese waren gekennzeichnet durch verschiedene konfessionelle und berufliche Gruppen, aber sie waren auch nach sozialen Milieus geordnet.[1]Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im NS oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14. In: Winfried Speitkamp: Eschwege: Eine Stadt und der Nationalsozialismus, Marburg 2015, S. 54 f Um die Ausmaße zu verdeutlichen: Beispielsweise war 1931 mehr als jeder zweite Jugendliche Mitglied in einem oder mehreren Vereinen.[2]Winfried Speitkamp: Eschwege: Eine Stadt und der Nationalsozialismus, Marburg 2015, S. 156 In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

An dem Ort, an dem heute die Fassade des Supermarktes an der Bahnhofsstraße steht, befand sich damals das Wirtshaus ‚Erstes Kulmbacher’, in dem die Vorstände der Vereine bei Vorstandssitzungen oft zusammenkamen. So auch am 24. März 1933.

Nach der Ernennung von Adolf Hitler zum Reichskanzler begrüßt der Dachverband der Turnvereine am 23. März die nationale Erhebung und fordert die Vereine auf sich dieser „zur Verfügung zu stellen“. Der Vorstand des TV ‚Jahn‘ billigt diesen Beschluss schon am besagten 24. auf einer Sitzung.[3]Protokoll der Vorstandssitzung vom 24. 03.1933 . Protokollbuch „Jahn“, begonnen 16.09.1930 bis…, S.75. In: ETSV-Archiv In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Auch der zweite Turnverein, der Turnverein 1861, erklärt in der Jahreshauptversammlung Ende April, dass er „mit ganzem Herzen zu ihr stehe“.[4]Eschweger Tageblatt, 29.04.1933 In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Auch bei diesen Handlungen zeigt sich genauso wie bei Herrn Allmeroth, dass man bereit war, an Entwicklungen teilzunehmen, nur, wusste man da eigentlich, was man tat und was daraus alles folgen würde?

Am 07.April 1933 beschloss die Regierung Hitler das ‚Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums‘. Nach diesem war für den Eintritt in den öffentlichen Dienst der sog. ‚Ariernachweis‘ nötig, und es wurde festgelegt, dass jüdische Beamte in den Ruhestand zu versetzen seien. Reichspräsident Hindenburg erreichte eine Abschwächung, indem beschlossen wurde, jüdische Teilnehmer des Ersten Weltkrieges und Familien, die Opfer zu beklagen hatten, auszunehmen.

Schon einen Tag später beschloss der Hauptausschuss der Deutschen Turnerschaft, der Dachverband der Turnvereine, den ‚Arierparagraphen‘, in abgeschwächter Form in die Organisation einzuführen.[5]Deutsche Turnzeitung Nr. 16 vom 18.04.1933, Nr. 16, S.290. In: ETSV-Archiv In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Am 17. Mai 1933 wird jedoch festgelegt, eine ‚Vollarisierung’ der Turnvereine durchzuführen.[6]Deutsche Turnzeitung Nr. 21 vom 23.05.1933, S.397. In: ETSV-Archiv In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14 Weiterhin wird vom 7. Turnkreis bekannt gegeben, diese Arisierung bis zum 15.06.1933 durchzuführen.[7]Turn-Kreisblatt Nr. 21 vom 23.05.1933, S. 163. In: ETSV-Archiv. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

„Erschreckend ist hierbei, dass zu diesem Zeitpunkt von staatlicher Seite aus keinerlei Gesetz oder Bedingungen, welche den ‚Arisierungsprozess‘ der Sportvereine in dem Maße, in welchem er durchgeführt wurde, gerechtfertigt hätte. Ein Verlangen nach Entfernen jüdischer Sportler war im ersten Halbjahr 1933 in keiner Dienststelle des Staates öffentlich bekundet worden“[8]M. Wildt: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 314/2012, S. 44 In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Dieser Prozess hätte somit also gar nicht sofort durchgeführt werden müssen, wie es beispielsweise in der Turnerschaft von Berlin geschah, dort dauerte die Entwicklung beispielsweise bis Ende 1933.

In Eschwege hingegen wurde die Arisierung mit Übereifer angepackt und schon fünf Tage vor der gesetzten Frist , am 10.06.1933, wurde mitgeteilt, dass die ‚Vollarisierung‘ im TV ‚Jahn‘ bereits durchgeführt wurde.[9]Protokollbuch, ‚Jahn‘, begonnen 16.09.1930 bis …, S. 80-83. In: ETSV-Archiv. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Und auch der TV 1861 steht dem nicht nach, am 26.Juni 1933 wird auf einer Vorstandssitzung des Vereins erklärt, dass Abmeldungen nur von drei jüdischen Mitgliedern vorliegen, und alle anderen sich als „stillschweigend ausgeschlossen betrachten müssen“.[10]Protokolle über die Vorstandssitzungen des TV 1861 vom 30.05.1933 und 26.06.1933. In: Festschrift 125 Jahre ETSV, S. 36. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

„Davon betroffen war auch mein Großvater Adolph Plaut. Jahrelang war er Vorturner in diesem Verein gewesen, nun warf man ihn von einem auf den anderen Tag raus.“[11]Brief von Karl Goldschmidt an Anna Maria Zimmer, 17. Januar 1975. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

„Auf einer außerordentlichen Mitgliederversammlung am 10. Juni 1933 wird vom 1. Vorsitzenden des TV ‚Jahn‘, Lehrer Albrecht, mitgeteilt, dass das Leben in der Turnerschaft künftig auf dem Führerprinzip aufbauen sollte, da Deutschland von einem neuen Geist, der von dem Volkskanzler Adolf Hitler ausgehe, durchströmt würde.“[12]Eschweger Tageblatt, 12.06.1933. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Wie weit diese Zuarbeit ging, zeigt der Umstand, dass der Turnverein 1861 früh einen sogenannten Turnersturm , einen besonderen Sturm der SA, gegründet hat, dem auch SA-Mitglieder des Turnvereins ,Jahn’ angehören. Dieser Sturm war der erste im 7. Deutschen Turnerkreis. Der 7. Deutsche Turnkreis (Oberweser) umfasste 552 Vereine, die beiden Eschweger Vereine waren somit die ersten von 550 weiteren Vereinen, die einen SA-Turnersturm gegründet hatten.[14]Turn-Kreisblatt 7. deutscher Turnkreis [Oberweser] vom 21.06.1933, Nr. 25, S. 201. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Lehrer Albrecht, der sich mittlerweile als ‚Führer‘ tituliert, erklärt diesen Umstand folgendermaßen: Weil wir zur Wehrlosigkeit verurteilt sind, setzte nunmehr das Wehrturnen ein. Die Braunen und die Blauen Bataillone werden in Zukunft Hand in Hand arbeiten, Schulter an Schulter stehen….[15]Eschweger Tageblatt, 24.07.1933, Nr. 170. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Auch in Fußball- Vereinen vollzog sich die Gleichschaltung problemlos, um nicht zu sagen vorbildlich und vorauseilend. So kam es am 14. Mai 1933 zu einer großen Gleichschaltungsversammlung der Eschweger Fußballgemeinde, mit über 200 Teilnehmern, mit einem Referat des NSDAP-Kreisleiters Adam über die „Stellung des Nationalsozialismus zum Sport“, er fordert die Gründung eines einzigen Fußballvereins, aus den vier bestehenden Vereinen, mit dem Namen „Sportklub Eschwege e.V. Ballspielvereinigung“.[16]Eschweger Tageblatt, 15.05.1933; siehe Gerd Strauß: Die Zeit von 1919-1945. In: Eschwege 07 (Hg.): 90 Jahre Fußball in Eschwege, Eschwege 1997, S.18. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.01

„Meine Mutter sowie einige ihrer Freundinnen waren Mitbegründer des Kunstvereines in Eschwege. Sie brachten Musik, Literatur etc. in die kleine Stadt, die kaum in Kassel oder Hannover spielte. Das war die Zeit, in der Eschwege den Titel ‚hessisches Bayreuth‘ verliehen bekam. Aber trotz allem, was sie für den Verein und ihre Heimatstadt getan hatte, wurde sie ohne ein Wimpernzucken aus der Mitgliederliste gestrichen.“[17]Brief von Karl Goldschmidt an Anna Maria Zimmer, 17. Januar 1975. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Worauf der Vorstand des Vereins diese Entwicklung auf einer Versammlung ‚erfreut‘ begrüßte.[18]Eschweger Tageblatt, 14.08.1933. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

„Die Zeit der Gleichschaltung war gekommen und wir Juden spürten mehr und mehr die Entwicklung, die uns aus der Gesellschaft ausgrenzte, doch nicht nur uns erging es auf diese Weise.“

Am 25.April 1933 kam es zu einer Generalversammlung der Eschweger Feuerwehr, in der, wie auch bei den Turnvereinen geschehen war, ein freudiges Bekenntnis zu der neuen Regierung ausgesprochen, aber auch eine Statutenänderung beschlossen wurde, die vorsah, dass alle Angehörige[n] der Sozialdemokratischen Partei sowie solche Personen, welche die Bestrebung derselben stützen oder fördern, von der Mitgliedschaft ausgeschlossen seien.[19]Eschweger Tageblatt, 26.04.1933. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Und auch bei diesem Fall war es so, dass das Verbot der SPD erst rund 2 Monate später erfolgte. Ausschluss und Unterdrückung geschahen also auch hier früher als gesetzlich beschlossen. Dafür spricht auch der Umstand, dass das Ziel, alle politischen Oppositionsgruppen und Institutionen auszuschalten und alle Macht den neuen Machthabern einzuräumen, im Kreis Eschwege auch dazu führte, dass Auflösungen erster SPD-Ortsgruppen bereits im März 1933 vorkamen. Diese lösten sich auf und stellten sich sogar teilweise einstimmig hinter die nationalsozialistische Regierung.[20]Alltag im NS. In: Gerd Strauß: Eschwege: Eine Stadt im Nationalsozialismus oder eine nationalsozialistische Stadt? Vortragsmanuskript, VHS 09.10.14

Diese Entwicklungen zeigten sich ganz deutlich an den Wahlen in dieser Zeit.

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