Als Anna Maria Zimmer mir zum ersten Mal von ihrem Projekt erzählte, es war im Frühjahr 1975, eine Arbeit über das Judentum in Eschwege zu schreiben, war ich überrascht, dass gerade eine Frau, die in Eschwege wohnte, begann diese Vergangenheit anzupacken. Ich fand das sehr mutig und auch sehr gut, dennoch war meine Hoffnung, dass sie wirklich viel zutage fördern würde, eher gering. Ich wusste, wie die Gesellschaft in Eschwege auf dieses Thema reagierte, ich hatte es oft genug bei meinen vorherigen Besuchen gespürt.
Meine Schwester Marianne glaubte sogar, dass die Menschen sogar noch judenfeindlicher geworden waren als in der Nazizeit, denn sie sagte mir, dass sie, als sie 1967 für ein paar Tage die Heimatstadt besucht hatte, mehr Antisemitismus zu spüren bekommen hatte, als in den gesamten Jahren von 1933-36.[1]Brief von Marianne Goldsmith an Anna Maria Zimmer, 23.8.1989
Anna Maria bemerkte dies dann auch während ihrer Arbeit. Viele Leute, die sie fragte, konnten sich zwar erinnern, wollten es aber nicht, sie hatten von dem, was geschehen war, noch die tollen Momente im Gedächtnis, die gemeinsamen Unternehmungen im BDM oder in der HJ, viele hatten die andere Seite verdrängt und fühlten sich nun angegriffen. Einige waren zwar bereit zu berichten, wollten dies jedoch anonym tun, sie hatten Angst, in der Gesellschaft ausgegrenzt zu werden. Und gerade in der Anfangszeit ihrer Arbeit erhielt sie auch Morddrohungen oder anonyme Einschüchterungen über das Telefon. Deshalb war sie längere Zeit auch nur noch über Handy zu erreichen.
Doch sie machte weiter und räumte alle Steine die ihr in den Weg gelegt wurden, aus dem Weg. Eine unglaubliche Leistung, war doch die Zahl der Menschen, die gegen sie arbeitete, noch so groß.
Auch Anfeindungen auf der Straße blieben nicht aus. Als sie einmal mit einer Schulklasse in Eschwege unterwegs war, sie war hier Lehrerin, riss eine Frau ein Fenster auf und schrie hinaus:„ Glaubt ihr kein Wort, alles, was sie euch erzählt, ist erstunken und erlogen“.[2]Gespräch von Anna Maria Zimmer mit Paul Hartmann, 5.03.2016
„Ich dachte jedoch, es wäre überhaupt nicht möglich, solch eine Arbeit zu verfassen und war fast schon positiv überrascht, wie viel sie doch schon aufarbeiten konnte. Anna Maria hat aber auch wie verbissen weitergekämpft und sich nicht abbringen lassen. Doch dieses Thema schien so brisant zu sein, dass es noch Jahre später einem den Kopf kosten konnte.“[3]Brief von Karl Goldschmidt an Anna Maria Zimmer, 17.01.1975