Haus Stad ‚neben Junghans‘

NS - Stadtführung

„In diesem Haus hier war einst das Schokoladengeschäft von Paul Rahe, dort klebten, wenn ich mich recht erinnere, immer die ‚schönen‘ Seiten des ‚Stürmers‘ im Schaufenster. Diese unglaublichen Artikel sind doch viel mehr ein Beweis der Mentalität der Nichtjuden gewesen. Wenn ihr sie heute lest, müssen sie euch wie ein Witz vorkommen. Jedoch war die deutsche Mentalität leider so, dass vieles geglaubt wurde. Die Juden scherten sich nicht um die Artikel, aber sie waren die Tragödie Deutschlands.“[1]Brief von Karl Goldschmidt an Anna Maria Zimmer, 17. Januar 1975

Doch nicht nur hier wurde der ‚Stürmer‘ ausgehangen, auch in einem Schaukasten bei einem Kiosk in der Bahnhofstraße konnte man diese grässlichen Zeilen lesen.[2]Anna Maria Zimmer: Juden in Eschwege. Entwicklung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde, Eschwege 1993, Seite 123

Wie weit der ‚Stürmer-Verlag‘ jedoch wirklich ging, um diese kranken Wertvorstellungen zu verbreiten, zeigt seine Lesefibel. Dieses Buch gab man für kleine Kinder, für Leseanfänger, heraus.

Doch nicht nur die Zeitungen der Nazis waren voller Propaganda, nach ihrer Machtergreifung verbreiteten sie ihre kranke Ideologie auch in unserer lokalen Presse.

Am 16. September 1933 erschien im ‚Eschweger Tageblatt‘ zum ersten Mal die Beilage ‚SA- Mann voran‘, mit einem Interview des Chefs des Stabes von SA und SS, Hauptmann a.D Ernst Röhm.

Diese wiederkehrende Beilage sollte, nach dem Herausgeber (Köhler, ‚Führer‘ der SA-Standarte 353),

„…dazu beitragen, dass der schlichte und stets opferbereite, aber unüberwindliche SA-Geist hineingetragen wird in die letzten Herzen unseres erwachten Vaterlandes.“[3]‚SA-Mann voran‘, In: Eschweger Tageblatt, Nr. 217, 16.09.1933

„Ja, es war mein Vaterland, das Vaterland meiner ganzen Familie, schon seit vielen Generationen, doch dies schienen selbst manche Eschweger Bürger, die dies wussten, schnell zu vergessen.

Am 21. März 1933 hatte meine Mutter 40. Geburtstag. Da sie ein paar Freunde zum Café eingeladen hatte, schickte sie meine Schwester Magret in die Stadt, um Schlagsahne zu kaufen. Als sie in die Stadt kam, war dort eine große Menschenansammlung, die anscheinend protestierte und schrie. Wir haben Zuhause beigebracht bekommen, solche Ansammlungen immer zu meiden, deshalb ging sie schnell wieder nach Hause, Mutter erzählte sie davon nichts, sie wollte ihr nicht den Geburtstag ruinieren. Wenig später hörte sie vor dem Haus dieselben Stimmen wie in der Stadt, sie brüllten: Nimm die Flagge ab! Wir hatten an diesem Tag, wie alle anderen Bürger auch, die Fahnen gehisst, denn von der Reichsregierung hatte es in der Zeitung an alle Bürger die Anordnung gegeben, die Fahnen heraus zu hängen. Aber die Leute schrien und Magret wusste nicht, was sie tun sollte, also kletterte sie auf den Dachboden, öffnete das Dachfenster und zog die Flagge rein, was nicht gerade einfach war. Der Mob auf der Straße tobte immer noch und sie bekam solch eine Angst, dass sie sich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen konnte. Für diese Menschen waren wir also nicht mehr Teil des Vaterlandes.“[4]Ruthi Keisar, Email an P. Hartmann, 25.12.2015

An diesem 21. März, dem ‚Tag von Potsdam‘, fand nämlich die feierliche erste Eröffnung des Reichstags nach nationalsozialistischer Machtergreifung in der Garnisonskirche von Potsdam statt.

Die Feierlichkeiten an diesem Tag begannen mit dem Wecken von Spielmannszug und SA um 6:30 und über den ganzen Tag stand Eschwege im Zeichen der neuen Regierung.[5]Eschweger Tageblatt, Nr. 68, 21.03.1933

So zeigten die Nazis an diesem Tag das Gesicht, mit dem sie die Bevölkerung verblendeten, dessen Kehrseite jedoch für die Juden bestimmt war. Und so kam es auch in Eschwege, wie in anderen Städten am Abend, nachdem den Tag über Rundfunkübertragungen durch die Straßen schallten, zu einem Fackelzug.[6]Eschweger Tageblatt, Nr. 68, 21.03.1933

Am nächsten Tag beschreibt auch das Eschweger Tageblatt die vorangegangen Feierlichkeiten in den höchsten Tönen.[7]Eschweger Tageblatt, Nr. 69, 22.03.1933

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