Am 3. April 2002 erschien in der Werra-Rundschau ein Nachruf für einen Mann, der im Alter von 81 Jahren in den USA gestorben war. Sein Name war Karl Goldschmidt.
Aus diesem Anlass schrieb der Chefredakteur der Zeitung einen Kommentar, in dem er anmerkte, dass er es für völlig falsch halte und wie belastend es für die ehemaligen jüdischen Mitbürger sein müsse, dass immer noch eine Straße in Eschwege nach dem Bürgermeister in der nationalsozialistischen Zeit benannt sei.
Es entstand in der Werra-Rundschau daraufhin eine längere Diskussion um diese Frage und es erschienen diverse Leserbriefe.
Der damalige Chefredakteur Frank Jungbluth sah in dieser Diskussion einen wichtigen Schritt, um die Vergangenheit zu bewältigen. Er kannte diese Debatte schon aus seiner Heimatstadt, wo man sie bereits in den 80ern durchgeführt und die Straßen umbenannt hatte.
Doch anders in Eschwege. Hier rankten zu dieser Zeit noch in manchen Köpfen Mythen über die ‚glorreichen Taten‘ des Bürgermeisters und viele Bürger fanden solch eine Diskussion höchst verwerflich.
Jungbluth hatte unterschätzt, wie sehr Eschwege in diesen Schritten hinterherhing und auch von seinem Verleger erhielt er wenig Rückendeckung.
Denn Eschweger Geschäftsleute und treue Anzeigenkunden teilten der Anzeigenabteilung mit, dass sie diese Diskussion in der Zeitung nicht stützten und womöglich Konsequenzen ziehen müssten.
Als Jungbluth die Zeitung kurze Zeit später verließ, konnte er nicht verstehen, weshalb er seinen Job, für eine ehrliche Berichterstattung, verloren hatte.[1]Gespräch von Frank Jungbluth mit Paul Hartmann, 3.03.2016
Noch vor seinem Abschied hatte der Stadthistoriker Dr. Karl Kollmann eine erste Ausarbeitung zu Dr. Beuermann in der Zeitung veröffentlicht, die sicherlich einiges Neues zu Tage brachte.
Wenn ihr mehr über den Bürgermeister wissen wollt, ist dieser Artikel genau das Richtige!
Doch nachdem die Diskussion ‚einen Kopf gekostet‘ hatte, ruhte sie erst mal für einige Jahre.
Ende 2008 hielt der Eschweger Historiker Gerd Strauß einen Vortrag über die Entnazifizierung in Eschwege, in dem er aufgrund einer breit aufgestellten Argumentation zu dem Schluss kam, die Dr.-Beuermann-Straße solle einen neuen Namen bekommen.[2]Werra-Rundschau, 21.11.2008
Wiederum entbrannte in der Eschweger Zeitung eine heftige Diskussion, die dieses Mal jedoch noch unsachlicher geführt wurde. Meist kommentierten hierbei Personen, die den eigentlichen Vortrag nicht besucht hatten, sondern sich nur auf den entsprechenden Bericht in der Zeitung stützten.
Dem Referenten wurden in den Leserbriefen Diverses an den Kopf geworfen.
„Argumente falsch und tendenziös"[3]Werra-Rundschau 25.11.2008, „Egomanische Betroffenheitlyrik“, „Es wäre bestimmt zielführender, wenn sich bestimmte Personen eher [ auf einen objektiven, untendenziösen Geschichtsunterricht] konzentrieren würden.“, „...auf der Suche nach ein paar braunen Knochen“[4]Werra-Rundschau 3.12.2008, „einigen mehr oder meist weniger kompetenten, selbsternannten Stadthistorikern“[5]Kar-Heinz Bintzer, Werra-Rundschau 5.03.2008
Doch schließlich führte dieser Vortrag dazu, dass die Stadtverordneten sich genauer mit diesem Thema befassten und nach einer eingehenden Prüfung beschlossen, die Straße umzubenennen.
Bis 2015 lag die Eschweger Jugendherberge an dem Fritz-Neuenroth-Weg, doch im Rahmen der Prüfung von Namensvergaben durch die Stadtverordnetenversammlung war aufgefallen, dass auch dieser Name nicht unbelastet war. So beschloss die Stadtverordnetenversammlung 2015, den Fritz-Neuenroth-Weg in Jardin de St.-Mandé umzubenennen.
Die Lokalpresse veröffentlchte hierzu viele interessante Artikel.
lokalo24.de: Der Eschweger Fritz-Neuenroth-Weg wird umbenannt
hna.de: SA-Uniform unterrichtet
In einem weiteren auf den Vortrag von Gerd Strauß folgenden Leserbrief forderte der Verfasser, dass man Gras über die Sache wachsen lassen und diese alten Themen nicht immer wieder aufwühlen solle.[5]Karl-Heinz Bintzer, Werra-Rundschau, 5.03.2008
Ich kann nicht begreifen, wie ein Mensch der Meinung sein kann, dass man dieses Vergangene vergangen sein lassen muss. Zumal dieser Leserbriefschreiber selbst in jener Zeit lebte, sich also über all das Geschehene bewusst war. Er war vermutlich auf der, zu seinem Glück, falschen Seite. So kann er all mein Streben und all mein Kämpfen wahrscheinlich nicht verstehen. Ich gehörte zur Gruppe der Opfer, zu denen, gegen die sich dieses System richtete. Bei dem jeder, der es nicht selbst durchlebt hatte, die Stirn kraus zieht und sich fragt, warum diese Person, ja schon gebetsmühlenartig zu verbreiten versucht, dass sich die Fehler, die die Menschen auch im kleine Eschwege begangen haben, nicht wiederholen dürfen. Ich bin diese ‚Unschuld‘ gewohnt. „Ich war doch nie dabei gewesen“, „Was kann ich schon tun, ich bin doch nur ein kleiner Mann…“[6]Brief von Karl Goldschmidt an Anna Maria Zimmer, 17.01.1975
Durch die Chance, das zu verstehen, was geschehen ist, ist uns die Möglichkeit gegeben, dass zu beeinflussen, was geschehen wird.
Ist dies eine Chance, die man nutzen sollte?