Berichtete das Eschweger Tageblatt über den Boykott am 1. April 1933, dass er mit voller Ruhe durchgeführt wurde, so war das in der vorangegangenen Zeit nicht immer der Fall, dass alles reibungslos ablief. Besonders 1932 spitzen sich die Konflikte zu. NSDAP und KPD veranstalteten immer wieder öffentliche Versammlungen und Demonstrationen, in denen es dann meistens zu gegenseitigen Provokationen und Schlägereien kam. Hans konnte sich beispielsweise daran erinnern:
Es kam öfter zu ‚Straßenschlachten‘ am Marktplatz, wobei KPD und NSDAP immer versuchten, die jeweils anderen Demonstrationen zu stören. [1]Brief John Mc Intyre (Hans Norbert Schiff) an A. Zimmer 10.1993
Zu schwereren Auseinandersetzungen kam es auch im Kreisgebiet von Eschwege. Schon 1931 stürzten sich Weißenbörner auf die von einer NS-Kundgebung zurückkehrenden Rambacher. Mit dem Schlachtruf ,Nazis verreckt’ stürzten sie sich in den Kampf, in dem ein Rambacher ein Auge verlor.
Doch auch in Eschwege kam es 1932 zu gewaltsamen Konflikten, die später den Namen ‚Blutsonntag‘ bekamen.
Aus dem Umland wurden NSDAPler zusammengekarrt, diese nahmen vor den Toren der Stadt Aufstellung, dann zogen über 1000 Personen durch jeden Winkel der Stadt.
„Die NSDAP, der Sturmbann II/167 der SA und die SS veranstalten diesen Propagandamarsch durch die Stadt, der auf dem Marktplatz mit einer Kundgebung enden sollte. […] Während des etwa anderthalb stündigen Zuges wurden den Zugteilnehmern [bereits immer wieder] Schmährufe zugeworfen und einmal flog sogar ein Stein.“[2]Anna Maria Zimmer: Juden in Eschwege. Entwicklung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde, Eschwege 1993, Seite 99
Auch hier kam der Zug vorbei und ein Pressefotograf lichtete die Teilnehmer ab.
Als ein nationalsozialistischer Redner auf dem Marktplatz, wo sich schon eine dichtgedrängte Menschenmenge eingefunden hatte, beginnen wollte, wurde er durch Zurufe und Johlen von einer großen Gruppe Kommunisten gehindert. Polizisten, die Ruhe schaffen wollten, wurden getreten und mit Stöcken angegriffen. Ein Polizeibeamter, der sich bedroht fühlte, schoss. Nach den Schüssen kam es zu Tumulten, der Marktplatz wurde von der Polizei geräumt.
Durch die Schüsse wurde der 33-jährige Kommunist Martin Gernandt getötet und ein 25-jähriger parteiloser Stockmacher aus Eschwege schwer verletzt.[3]Anna Maria Zimmer: Juden in Eschwege. Entwicklung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde, Eschwege 1993, Seite 99; Hans-Werer Posdziech (Hg.): Alltag im Nationalsozialismus der Stadt Eschwege, Gießen 1982, S. 27
„Ich hatte von Zuhause alles genau mitverfolgt. Erst kam ein Warnschuss und dann ballerte es diverse Male und Menschen rannten in Panik vom Marktplatz her und baten um Einlass, den sie bei uns bekamen. Ich nutzte diesen allgemeinen Aufruhr und den Umstand, dass meine Eltern grade nicht aufpassten und schlich auf den Marktplatz. Ich sah verstreute Hüte und auch Blutspritzer von dem Toten. Ich war fast enttäuscht, dass ich zu spät war und die Polizei den eigentlichen Tatort schon abgesperrt hatte. Es wäre für mich das Größte gewesen eine leere Patronenhülse zu finden. Mein Ausflug wurde jedoch bald von meinen Eltern bemerkt, die mir danach mal wieder den Hintern versohlten. Ich fand solche Auseinandersetzungen immer sehr spannend.“[4]Brief von John Mc Intyre (Hans Norbert Schiff) an Anna Maria Zimmer, Oktober 1993
Doch das mit dem Widerstand änderte sich schon sehr schnell. Denn als die Nazis die Macht errungen hatten, standen wöchentlich Berichte über Verhaftungswellen im Eschweger Tageblatt. So wurden am 2. März 1933 drei führende Kommunisten der Stadt Eschwege und Parteifreunde aus näherer Umgebung in Schutzhaft genommen. Auf solche Aktionen folgten meist Anklagen und dann Haft wegen Hochverrats oder ähnlichem. Diese dauerte von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren.[5]Klasse 10 c der FWS (Hg.): Rückspiegel. Eschwege - Eine Stadt wird braun. Eine Zeitung über den Nationalsozialismus aus heutiger Sicht reflektiert, Eschwege Mai/Juni 1997, S. 3
Nicht verwunderlich also, dass der Widerstand in Eschwege immer geringer wurde, stand doch für jeden das eigene Leben auf dem Spiel. So stand nicht nur Gefängnis in Aussicht, sondern auch Berufsverbot, Streichungen sozialer Unterstützung und Konzentrationslager.
Ein Eisenbahnarbeiter, Gewerkschaftsmitglied und Vertreter der SPD im Eschweger Stadtparlament, verlor nach den Reichstagswahlen vom März 1933 beispielsweise seine Arbeit, weil er sich weigerte, in die SA einzutreten.[6]Klasse 10 c der FWS (Hg.): Rückspiegel. Eschwege - Eine Stadt wird braun. Eine Zeitung über den Nationalsozialismus aus heutiger Sicht reflektiert, Eschwege Mai/Juni 1997, S. 4
Am 13. November 1933 kam es nochmal zu einem kleinen Aufschrei gegen das Hitlerregime. Mehrere Schaufenster wurden mit kommunistischen Parolen beschmiert, zwei Hakenkreuzfahnen wurden abgerissen, die Fensterscheiben des Eschweger Ortsgruppenleiters wurden mit Steinen eingeworfen und bei einem Radiogerät, welches für eine Rede Hitlers an das Fenster gestellt wurde, war der Sender verstellt worden.
Es ist doch interessant, was die Nazis damals alles als Widerstand ansahen.[7]Klasse 10 c der FWS (Hg.): Rückspiegel. Eschwege - Eine Stadt wird braun. Eine Zeitung über den Nationalsozialismus aus heutiger Sicht reflektiert, Eschwege Mai/Juni 1997, S. 4
Zumindest versuchten sie mittels ihrer Propaganda mitzuteilen, wie bösartig und volksfeindlich solche Handlungen seien.