Rathaus

NS - Stadtführung

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„Doch die Gedanken an meine Heimatstadt ließen mich auch nach meiner Rückkehr in die USA nicht in Ruhe. Ich veranstaltete deswegen öfters Treffen mit einigen Eschweger Juden in meinem Haus, die ebenfalls in die USA ausgewandert waren.

So traf ich Marga wieder. Sie war die Tochter der Familie Rieberg, welche ab 1938 mit uns in unserem Haus wohnte, die als einzige das KZ überlebt hatte.

Es waren keine Zusammentreffen der Freude, vielmehr gaben sie uns Halt und die Möglichkeit, die Erlebnisse zu verarbeiten, die wir alle teilten.

Doch damit waren wir uns allen sehr nah, wir konnten verstehen, wie sich ein jeder fühlte. Man konnte nachvollziehen, wenn manche sagten, sie wollten nie wieder zurück nach Eschwege.[1]Brief von John Mc Intyre (Hans Norbert Schiff) an Anna Maria Zimmer Oktober 1993

Doch mir ging es da anders, ich kam zurück, mehrere Male. Ich ging bewusst zu den Orten, die in meinem vorherigen Leben eine Rolle spielten. Die Schule, unser Haus in der Reichensächserstraße, in dem nun der jeweilige Bürgermeister wohnte, nachdem es die Stadt bei unserer Ausreise 1939 für einen Spottpreis gekauft hatte.

Und auch zu unserer Synagoge ging ich. Bei meiner Reise 1973 bemerkte ich, dass noch immer weder an der Synagoge noch in der gesamten Stadt eine Erinnerung an die jüdischen Bürger zu finden war. Niemand schien sich daran erinnern zu wollen, welche Verbrechen in der Zeit des Dritten Reichs hier vorgefallen waren. Weder an die Ausgrenzung noch an die totale Zerstörung der Synagoge in der Reichspogromnacht im November 1938.

Doch im Inneren sah die Synagoge, die heute die Kirche der Neuapostolischen Gemeinde ist, zu größten Teilen noch so aus, wie ich sie als meine Synagoge in Erinnerung hatte.

Da mich Eschwege, seit 1945, nie mehr losgelassen hatte, und ich Ähnliches auch von manchen hörte, die dasselbe Schicksal erlitten hatten und mit mir in Kontakt standen, schlug ich 1972 dem damaligen Bürgermeister ein gemeinsames Treffen ehemaliger Eschweger Bürger jüdischen Glaubens in der alten Heimatstadt vor. Der Bürgermeister war zwar interessiert, hielt die Zeit aber aus diversen Gründen noch nicht für ‚reif‘. Auch sein Amtsnachfolger war 1983 nicht dafür bereit. Auch an den nächsten Bürgermeister, Jürgen Zick, trug ich die Idee, 1986, heran. Herr Zick fand die Idee sehr interessant, hielt die Organisation aber auch für sehr komplex.

Aber schließlich kam es zu dem Treffen, es dauerte zwar noch bis Oktober 1989, wobei mehrere geplante Termine verschoben werden mussten, da die Planung aufwendiger als gedacht war.

Am Ende waren die 53 ehemaligen und noch auffindbaren jüdische Bürger von der Stadt eingeladen worden, 41 davon sagten zu, die meisten kamen aus der USA (28) und Israel (8).

Doch warum hatte es von 1972 bis 1989 gedauert, bis die Idee eines Treffens, die Idee der Versöhnung, endlich umgesetzt wurde.

Ich weiß es nicht, es lag an anderen, zum großen Teil wohl an den Bürgermeistern der Stadt, die diese Entscheidung zu treffen hatten. War ihnen dieses Treffen etwa nicht wichtig?

Keiner kann das wohl besser beurteilen als ein einziger Mann, und der tut dies hier:


Der Ehrenbürgermeister Jürgen Zick ist bereit, über das Treffen zu berichten, welches ich schon früher für so wichtig hielt.
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„Auch meinen Freund Hans traf ich wieder, er hatte zwar zuerst abgesagt, weil er es nicht übers Herz bringen wollte, zurückzukehren, als er aber die Gästeliste erhielt, machte er sich auf nach Eschwege. Aus Hans Norbert war John geworden, denn er hatte, wie einige andere, seinen alten Namen abgelegt und nannte sich nun John Mc Intyre.“[0]Brief von John Mc Intyre (Hans Norbert Schiff) an Anna Maria Zimmer Oktober 1993

Das achttägige Treffen bestand aus öffentlichen Festakten, Stadtführungen durch das alte Eschwege, Gesprächen mit Schülern und Bürgern und einem Sabbatgottesdienst.

„Ich hatte extra für diesen Gottesdienst die Thorarolle unserer Familie aus den USA mitgebracht, sie stammte aus dem Jahr 1826 und ist vermutlich das einzige noch existierende Stück aus der Eschweger Synagoge.

An dem Tag unserer Rückreise, dem 31. Oktober 1989, wurde im Botanischen Garten eine kleine Zeder gepflanzt, ein Denkmal an dieses Treffen, dass für ein friedliches, von Toleranz und Verständnis geprägtes Zusammenleben steht.[3]Anna Maria Zimmer: Juden in Eschwege. Entwicklung und Zerstörung der jüdischen Gemeinde, Eschwege 1993, Seite 276-309

Doch auch nach unserem Treffen geschah noch etwas. Jeder Bürger, der das Eschweger Rathaus durch den Haupteingang betritt, kommt nun immer an einer Erinnerungstafel für die jüdische Bevölkerung vorbei. Sie wurde 1997 eingeweiht und hängt nun direkt auf der linken Seite im Haupteingang.

Schaut sie euch doch mal an!"

Wenn ihr mögt, würde ich euch gerne auf einen kleinen Abstecher zu dieser Zeder, die 1989 gepflanzt wurde, mitnehmen und euch noch etwas mehr darüber erzählen. Ihr müsst aber nicht, wir können auch gleich zu der nächsten Station, den Stolpersteinen weitergehen.

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